Ein Bericht von Heise Auto : https://www.heise.de/autos/artikel/Honda-S800-Japanische-Chuzpe-3855562.html
Honda S800: Japanische Chuzpe
Schluss mit der Romantik, wir reden jetzt über Honda. Aus und vorbei die Zeit der Apologeten. Jetzt soll den Sturschädeln und Pragmatikern der Weg bereitet werden. Natürlich soll es hier auch und in erster Linie um den Honda S800 gehen: 1967 die Speerspitze japanischen Automobilbaus auf dem deutschen Markt. Drehzahl-Junkie und ernsthafte Konkurrenz für das Establishment.
Doch die Geschichte des Honda S800 hat erstaunlich wenig mit Technik zu tun. Genau genommen gar nichts. Natürlich sei der Pflicht genüge getan. Der S800 kann als Ende einer ersten japanischen Sportwagen-Trilogie verstanden werden, deren Anfang auf das Jahr 1962 zurückgeht. In Tokio präsentierte Honda den S360 samt einem 356-Kubikzentimeter–Winzmotor (33 PS) und die dazu passende Alternative, den S600 mit immerhin 492 Kubikzentimetern (40 PS – später 575 Kubikzentimeter und 57 PS für den Export). Per Kette wurde die Kraft an die Hinterachse übertragen.
Drei Autos für die Revolution
Darauf folgte 1966 der Honda S800 und dieser Wagen änderte alles. Denn zum einen wurde der auf dem Pariser Autosalon gezeigt. Dieser Ausflug in fremde Gefilde eines japanischen Herstellers ist schon erwähnenswert genug. Doch es kam noch besser. Unter der Haube werkelte ein Vierzylinder (781 Kubikzentimeter), dessen 67 PS bei 7570 Touren anlagen, der aber auch bis 12.000 drehte, so es nötig war oder Spaß machte. Vor allem Letzteres. Denn Honda hatte seine ganze Motorrad- und Formel-1-Erfahrung in ein Straßenauto gegossen.
So beeindruckend die Technik war, sie existierte nicht um ihrer selbst willen, wie das bei vielen Klassikern der Fall ist. Klassiker, deren Entstehung auf den Heureka-Moment eines Automobilgenies zurückzuführen ist. Der Honda S800, oder vielmehr das gesamteTriptychon japanischer und honda-esker Sportlichkeit, entstand als Trägerrakete für eine Marketingkampagne, als Nebenprodukt eines politischen Zwist, als Rammbock eines Sturkopfes.
Der Sturkopf hieß Soichiro Honda. Er wurde 1906 in Iwata geboren und wuchs in eher ärmlichen Bauernverhältnissen auf. Der Vater war Schmied, die Mutter Hausfrau, was damals noch hieß, den ganzen Tag mit harter körperlicher Arbeit Essen auf den Tisch zu bringen. Soichiro Honda war von Motoren begeistert. Eine motorisierte Reisschälmaschine in seinem Dorf faszinierte ihn. Früh begann er Motoren und Maschinen zu zeichnen. Kindlich, aber eben doch. Sein erstes Auto sah er im Jahr 1914.
Eines Tages stahl Soichiro Honda seinem Vater Geld aus dem Portemonnaie, setzte sich auf sein Rad und fuhr 25 Kilometer weit nach Hamamatsu, um dort eine Flugzeugshow zu sehen. Als er wieder nach Hause kam, war sein Vater von Wut und Sorge hin- und hergerissen, Soichiro Honda konnte aber nicht stillhalten und die Strafe über sich ergehen lassen. Zu begeistert war er von den Motoren und Flugzeugen gewesen. Er quasselte und fantasierte, quasselte und machte Zukunftspläne.
Der Traum vom Motor
1921 wurden diese dann wahr. Als Lehrling ging Soichiro Honda nach Tokio in die „Shokai-Werkstätten, Gesellschaft für Auto-Technik“. Im Lauf der Zeit brachte er es zum Filialleiter. Er experimentierte, baute eigene Fahrzeuge, wurde Rennfahrer, stellte Geschwindigkeitsrekorde auf und stellte schließlich fest, dass ihn all das nicht weiterbrachte. Also fing er an zu studieren, nahm aber nicht an Prüfungen teil, da er lediglich zum Lernen an die Universität ging: „Warum sollte ich mich immer wieder mit den gleichen Fragen beschäftigen und auf Dinge zurückkommen, die ich längst begriffen hatte?“
Nach zwei Jahren an der technischen Hochschule samt Exmatrikulation, da er keine einzige Prüfung absolviert, geschweige denn bestanden hatte, begann er wieder an seinen eigenen Produkten zu forschen und entwickelte Kolbenringe für Pkw-Motoren und Flugzeuge. Toyota wollte Hondas Firma übernehmen, allerdings machte der zweite Weltkrieg alle Planung zunichte.
Die Kapitulation Japans war für Soichiro Honda eine Zäsur. Ein Jahr lang machte er kaum etwas Anderes als Flöte und Harfe zu spielen, mit einem Moped durch das zerstörte Land zu fahren und selbstgemachten Reiswein zu trinken. Ergebnis dieses Sabbaticals war die Erkenntnis, dass es den Mitbürgern an Mobilität mangelte.
Sabbatical mit Folgen
Ab hier beginnt eine Erfolgsgeschichte, die sich vor allem auf Motoren und Motorräder stützt. Jahr um Jahr gab es Kapitalerhöhungen und Expansionen. Das beste Beispiel ist die „European Honda Motor Trading Company“, die 1961 in Hamburg gegründet wurde. Das Unternehmen sollte Hondas Tor in die Welt werden. Bereits in den ersten zwölf Monaten erwirtschaftete die deutsche Firma einen Jahresumsatz von 6,6 Millionen Euro. Doch der Firma kam eine größere, strategische Bedeutung zu: Von hier aus sollten weitere Neugründungen in allen Ländern geplant werden.
Doch dann begann das Drama, das Soichiro Honda zum Rebell und Staatsfeind machen sollte. 1962 wollte die japanische Regierung beschließen, nur drei Firmen Autos bauen zu lassen. Schließlich würde das in den USA (GM, Chrysler, Ford) auch gut funktionieren. Nicht unter diesen Firmen: Honda.
Der reagierte für japanische Verhältnisse nachgerade explosiv. Stur und unnachgiebig legte er sich mit der Regierung direkt an und präsentierte den S360 bei jeder Messe und anderen Gelegenheit, die sich ihm boten. Daneben veranstaltete er eine Werbekampagne, die das Gesetz verhindern sollte. Der PR-Feldzug bewirkte immerhin, dass der erste Gesetzentwurf abgelehnt wurde, was Honda Zeit verschaffte. Für einen weiteren PR-Coup. Potentielle Kunden sollten schätzen, was der S360 kostet. Sechs Millionen Menschen nahmen teil. Das bedeutete: sechs Millionen Kaufinteressenten, von denen das Unternehmen jetzt die Adresse hatte und die bei Bedarf – zum Beispiel bei Einführung eines neuen Gesetzes – aktiviert werden konnten.
Die Regierung knickt ein
Und siehe da – die Regierung knickte ein und kippte alle Pläne, die den Automarkt einschränken hätten können. Eine Planänderung, die der Markt ausschließlich Honda zu verdanken hatte, weswegen die Marke auf dem Heimatmarkt heute noch ein ganz besonderes Image hat. Sie galten ab diesem Streit als aufmüpfig und besonders. Nicht zwingend im guten Sinne – vor allem in den ersten Jahren nach diesem Streit.
Noch im Frühjahr 1963 lieferte Honda die ersten Automobile aus. Und wie. Die Fahrzeuge wurden Verkaufsschlager. Sie waren klein, aber wendig, gut verarbeitet, günstig und hatten ein Design, das sie über die pragmatische Von-A-nach-B-Form erhob. Auch in Deutschland wartete man bereits auf den Honda S800. Die Hamburger Zentrale hatte bereits 1966 begonnen ein Händlernetz aufzubauen. Schließlich mussten die ersten S600 verkauft werden.
Was für ein Timing. Denn Honda reüssierte gerade in der Formel eins. Dort hatten sie 1965 den RA272 am Start. 1,5 Liter Hubraum wurden auf zwölf Zylinder verteilt, 233 PS feuerte der Motor gen Beton, was den Wagen zum stärksten im Klassement machte. Für einen Hersteller, der gerade einmal ein Jahr zuvor eingestiegen war, eine kleine Sensation. Schließlich übertrumpfte der Wagen Ferrari. Richie Ginther fuhr für Honda sogar einen Sieg beim Großen Preis von Mexiko ein – dem letzten Rennen der letzten Saison der 1,5-Liter-Motoren. Dass gleichzeitig Ronnie Bucknum Fünfter wurde – was ebenfalls ein Achtungserfolg war – ging dabei unter.
Für 1966 verdoppelten die Ingenieure den Hubraum. Honda konnte zwar nur an drei Rennen teilnehmen, holte aber immerhin einen vierten Platz. Und: Damals reichte es fürs Heldentum, überhaupt an der Formel eins teilzunehmen.
Formel eins Image to go
Unter diesen Vorzeichen wurde der Honda S800 der Öffentlichkeit präsentiert. Und das von Hans Herrmann, der Rennfahrer zeigte im Dezember 1966 den Wagen in Hamburg her. Und der Wagen, als Cabrio und Coupé erhältlich, erfüllte alle Erwartungen. Aus 791 Kubikzentimetern holte der Flitzer 67 PS. Der wassergekühlte Vierzylinder wurde mit ungeheurem Ingenieursaufwand produziert. Kurbelwelle und Pleuel waren nadelgelagert, was zu geringeren Reibungsverlusten führte.
Für die Fahrleistungen, die der Honda S800 zur Verfügung stellte, benötigten andere Hersteller wesentlich größere Brennräume. Bei 7570 Touren lag die Spitzenleistung an, bis 11.000/min drehen war kein Problem, auch 12.000 überstand der Motor ohne Schaden. Der Motor wurde wegen seiner Drehzahlfestigkeit oft mit Motorradaggregaten verglichen. Was allerdings in den meisten Fällen falsch war, der Motor war nämlich im Gegensatz zu den meisten Krad-Aggregaten langhubig ausgelegt. Sogar die deutsche Presse war begeistert: „Man kommt um die Feststellung nicht herum, dass die Japaner im Bau kleiner Hochleistungsmotoren einen deutlichen Vorsprung haben“, so Gert Hack in Auto, Motor und Sport.
Clou des Wagens war der Preis. So viel Motorsport um 7750 Mark gab es bei kaum einem Konkurrenten. Und das mag etwas heißen. Honda hat nämlich damals nicht nur mit hohen Transportkosten, sondern auch noch mit Zöllen zu kämpfen gehabt. Trotzdem war der Honda S800 günstiger oder auf Augenhöhe mit der Konkurrenz aus Deutschland (NSU Spider, NSU 1200 TT, VW Karmann-Ghia 1500, Opel Rallye Kadett), Frankreich (Peugeot 204 Cabrio), Italien (Fiat 850 Coupé und Spider, Fiat 124) und England (Austin Cooper 1300, Austin-Healey Sprite 1300).
Vor allem bei den Elastizitätswerten überzeugte der Honda S800. Waren beim Sprint von null auf Tempo 80 noch fünf der eben genannten Autos schneller, waren es beim Spurt auf 120 nur noch zwei. Zudem erreichten lediglich der Austin Cooper 1300 (Tempo 160) und das Fiat 124 Coupé (Tempo 165) bei Messfahrten der Fachpresse eine höhere Endgeschwindigkeit als der Honda S800 (Tempo 155).
Honda in der großen Welt
Mit dem Fahrzeug begann der Siegeszug von Honda. Innerhalb von einem Jahr hatte die Marke in Deutschland 200 Händler gefunden. 1968 wurden in Summe 1947 Fahrzeuge verkauft – auch, weil der kleinere N600 und der N360 auf den Markt kamen.
1970 wurde die Produktion des Honda S800 nach rund 26.000 verkauften Exemplaren eingestellt. Einen direkten Nachfolger gab es nicht, doch berief sich Honda bei der Präsentation des S2000 im Jahre 1999 auf das Erbe dieses Fahrzeugs.